Schlachter Achner

oder Hinnifitz genannt , Nachbar von Oma Lorenz.
Müggenburg 4


Hinni Achner muss ein Nachbesitzer von dem Herrn Bumann sein, mit dem mein Urgroßvater Peter Külper einen Contrakt wegen seiner Treppe, die auf dem Grundstück meines Urgroßvaters lag, abgeschlossen hat. Meine Oma Lorenz hat mir mehrfach erzählt, dass Hinnifitz nicht in seine „Wurstbude“ kommen würde, wenn sie sich querstellen würde. Von einem Contrakt hat sie aber nie etwas erwähnt.

Das Bild oben muss am Ende des tausendjährigen Reiches entstanden sein. Ich kann mich nämlich nicht an den Fahnenmast samt seiner Halterung erinnern. Ich habe Hinni erst kennengelernt, als er bereits etwas „voller“ um die Taille war. Und das kam so: Wir, einige Kumpels von mir und ich, haben auf Kruses Trümmergrundstück Nr.8 also auf der anderen Seite von Oma Lorenz Haus, gespielt, wobei ich einen Bollerwagen mit Steinen beladen den Deich rauf ziehen wollte. Ich war noch zu kein, ging noch nicht zur Schule und war lange nicht stark genug dafür und schaffte es auch nicht. Plötzlich kam Hinni von seinem Schlachthaus. Ich sah ihn und rief ihm zu: „Herr Achner, können Sie mir helfen den Wagen auf den Deich zu ziehen?“ Er kam den Trampelpfad am Deich runter, nahm die Deichsel und zog den beladenen Wagen den Deich hinauf. Dabei drehte er sich zu mir um und sagte ganz beiläufig und wörtlich auf Platt zu mir, einem kleinen Jungen, der noch nicht mal zur Schule ging: „Wüso sechs du Sie to me“.

Gleich nach dem Krieg sah er schon moderater aus. Sein Arbeitszeug war sauberer als auf dem Bild und Artur Vagst, der städtische Entsorger, der ja in ganz Finkenwerder herum kam, sagte, dass Hinni seine Wurstbude die sauberste in ganz Finkenwerder sei. Er, Artur, sagte auch, dass auf dem Teil der Werkbank, wo z.B. die Wurst gemacht wurde, nie Därme oder die Mägen ausgenommen wurden. Hinni hatte streng auf Sauberkeit geachtet und einen beachtlichen Wasserverbrauch muss er dabei auch gehabt haben!

Mein Vater, der ja gelernter Maurer war, hat bei Hinni mal „schwarz“ gemauert. Hinni hätte die Schwarzarbeit nicht nötig gehabt. Sein Laden ist zu der Zeit schon gut gelaufen. Er hatte zu der Zeit auch schon einen Mercedes 170 und hat 1 Kg Knochen für 50 Pfennige verkauft, was damals für meine Begriffe und nicht nur meine, viel Geld war. Onkel Ewald hat sich des Öfteren auch an seinen Preisen gestört. Mein Vater hatte mit Hinni Verschwiegenheit wegen der Bezahlung vereinbart und war umso peinlicher berührt, als Hinni in seinem vollen Laden sagte: „Jan, wull du din Geld afholn“? Es durfte doch keiner wissen, weil er ja bereits bei der Polizei war. Ich weiß nicht genau, was mein Vater dort gemauert hat. Es kann die Unterkunft von seinen Angestellten gewesen sein, die hinter seinem Haus stand. Zwischen Haus und der Unterkunft lagen nur ein paar Meter und der nur unzureichend abgedeckte Abflusskanal von der Wurstbude, der direkt an der Unterkunft vorbei zum Graben führte. Das war ein Paradies für Ratten! Ständig tummelten sie sich dort herum, wenn Feierabend war. Gewohnt haben diese Langschwänze unter Anderem auch im Schuppen meiner Großmutter, wo sich noch Gerätschaften meines Großvaters befanden. Dort habe ich auch noch eine Netznadel gefunden. Später, als ich meine Garage neben dem Schuppen hatte, ist mir einmal eine von denen direkt zwischen die Beine durch unter meinem VW zu Hinni rüber gelaufen. Und das am hellen Tage!

Wir haben als Kinder oft von der Treppe meiner Großmutter aus die Arbeit in der Wurstbude beobachtet. Hinni und seine Mitarbeiter haben dabei alle Fenster offen stehen lassen. Es war ja auch sehr warm dort, besonders, wenn er die Knackwürste in dem großen Kessel kochte. Dabei ließ er allerdings das Fenster direkt vor dem Gropen vor unserer Nase diskret schließen. Ich habe es erst später begriffen, er kannte ja auch nur mich und den anderen traute er nicht.

Hinni war lange Junggeselle, bis er dann die Richtige fand. Darüber war nicht nur er, sondern auch seine Frau sehr glücklich. Da sie aber auch noch einen weiteren Liebhaber gehabt hat, konnte sie nicht an sich halten und musste es der gesamten Nachbarschaft kundtun. Besser gesagt, es waren aber nur seine Lieder und wann immer eines seiner Lieder im Radio gespielt wurde und dabei auch noch das Wetter schön war, hat sie alle Fenster aufgerissen und die ganze Gegend von Müggenburg über das Brack bis hinter die Emder Straße beschallt. Es waren ohne Ausnahme Lieder von Freddy Quinn. Als ich einmal auf dem Nachhauseweg von Oma Lorenz war, habe ich mir mal ernsthafte Gedanken gemacht. Es konnte doch nicht angehen, dass immer wenn es schönes Wetter war, im Radio pausenlos Freddys Lieder gespielt wurden. Ich kam zu dem Schluss, dass sie nicht nur eine leistungsstarke Anlage gehabt hat. Sie hatte auch eine umfangreiche Plattensammlung nur von besagtem Sängerknaben. Seine erste Million hat er bestimmt durch sie verdient (soll ein Scherz sein).

Ich wurde oft von meiner Oma zum Laden geschickt, um auszurichten, dass die ganze Nacht über, die Lampe an seiner hinteren Hausecke brannte. Meine Oma hat immer darauf geachtet, sparsam mit dem Strom umzugehen! Hinni sagte nur: „We hebt doch kene Verdunklung meer“. Er hatte die Lampe wegen seiner Mitarbeiter brennen lassen

Oft hat meine Großmutter sich auch bei mir darüber ausgelassen, dass ihr die Verkäuferinnen Alida und später auch Hinni`s Frau, nur das fette Ende von der Leberwurst verkauft hätten und sie das doch wegen ihrer Galle nicht vertragen könne! Das hat sie noch dadurch unterstrichen, indem sie deutlich und sehr laut aufstieß und sich dabei zusammen krümmte um noch mehr Luft geräuschvoll raus zupressen. Das tat sie oft. So oft, bis ihr Sohn, der zu der Zeit ein Arztstudium absolvierte, ihr sagte, dass das Aufstoßen nicht zum Krankheitsbild einer Gallenentzündung passte. Später habe ich am eigenen Leib erfahren müssen, dass man deshalb wirklich nicht aufstoßen muss, obgleich ich kurz davor stand, den Löffel abzugeben.

Hinni hatte noch einen älteren Bruder, der nur im Schlachthaus arbeitete. Zugesehen haben wir da auch, aber das war nicht meine Welt! Jedes mal wenn wir bei Hans waren, gab er uns ein leeres 0,5 l Glas und wir mussten zu einer Wirtschaft gegenüber gehen und Bier für ihn holen. Er hatte eine sehr trockene Leber. Gewohnt hat er in diesem Haus an der Ecke Sandhöhe und Deich, da wo die Emder Straße schräge zum Deich hinauf geht. Er brauchte nur über den Deich zu gehen, um an seinem seinem Arbeitsplatz zu kommen. Die Haustür war da, wo auf dem Bild das dritte Fenster von links zu sehen ist. Das Schlachthaus fing da an, wo das Bild auf der rechten Seite aufhört, wobei das Grundstück bis zur Aue ging. Dieses Bild unten, muss vor dem Krieg entstanden sein, da hier noch der Wasserturm im Hintergrund zu sehen ist. Ich weiß nicht, wann er abgerissen wurde und habe nur aus Erzählungen in Erinnerung, dass auf seinem Fundament ein Bunker errichtet wurde, der dann von einer Bombe getroffen wurde. Dabei kamen alle Insassen ums Leben, ich glaube es waren 36.

Das Haus rechts hinter dem Mann, kann die Gastwirtschaft sein, die wir nach der Wirtin „Schlapper Titt“ genannt haben. Dahinter kam dann auch die Kohlenhandlung Stehr, bei dem des Öfteren die Pferde durchgegangen sind und der Kutscher sie im Schweinsgalopp wieder einfangen musste. Dabei ging der Wettlauf oft bis zum Tuun, also da, wo der Deich auf die Landscheide trifft und die Lüneburger Seite anfängt. Dahinter, nicht mehr im Bild, war der Zeugladen Woldmann, bei der (ich weiß ihren Vornamen nicht mehr) es eigentlich nur Arbeitszeug gab. Das lag an der Nähe zum Stack und der Besatzung der Kutter. Meine Großeltern vom Auedeich haben mir dort des Öfteren diese Klappenhosen gekauft, deren Klappe vorne von 4 Knöpfen von rechts nach links oder wenn man will, von links nach rechts, gehalten wurde. Wenn die abrissen, stand man im Freien. Diese Hosen wurden im Allgemeinen auch als Schnellfiggerbüx bezeichnet, was für mich damals noch keine Bedeutung hatte. Danach haben meine Großeltern mir dort auch meinen ersten einteiligen Arbeitsanzug zum Beginn meiner Lehre gekauft.

Gegenüber von der Wirtschaft, also einige Häuser hinter Hans Achner seinem Haus, gingen schmale Gänge den Deich herunter zu Häusern, die dort in zweiter und dritter Reihe standen und nur wenig Sonne abbekamen. In einem dieser Gänge war auch die erste Aueschule untergebracht. Diese Gänge befinden sich bis links um die Ecke herum, bis zum Fuhrunternehmer Lührs.

Gleich neben der Wirtschaft, die sich genau gegenüber vom Stack befindet, ging ein wirklich schmaler Gang den Deich herunter. Man konnte nur hintereinander gehen. Der Gang mündete im Garnstück, dort wo Bastian seine Schmiede hatte/hat und dort auch die Pferde beschlug. Die Pferde wurden an einem Haus gegenüber angebunden und der Weg war dicht. Da dort die Häuser sehr dicht beieinander standen, wehte dort auch meistens wenig Wind, und wenn die Hufeisen angepasst wurden, stand eine gewaltige Rauchwolke aus verbranntem Horn zwischen den Häusern. Heute ist so etwas undenkbar und hätte Proteststürme der anderen Anwohner hervorgerufen. Man konnte dann durch den Qualm über dem Vorplatz der Schmiede zwischen den Ambossen und was weiß ich nicht alles hindurch gehen, um dann zur Emder-Straße zu gelangen. Das war unser direkter Weg von uns zu meiner Großmutter am Müggenburg.

In einem dieser Gänge hatte auch der Segelmacher sein Haus. Er war einer der Ersten, die nach dem Krieg ein Segelboot am Stack liegen hatten. Am Stack wohnte auch noch ein älterer Mann, ich glaube er hieß Hans Sterk oder so ähnlich, in einem sehr desolatem Haus, eher Bude als Haus. Unten hatte er eine Werkstatt eingerichtet, in der er Fahrräder reparierte. Ich kannte ihn und war auch einige male dort in seiner Werkstatt wegen meines Rades, welches ich von Onkel Gustav geschenkt bekam, als er wegen zu geringer Berufsaussichten in Deutschland, nach Amerika auswanderte. Gewohnt hat er nicht; er hat eher über seiner Werkstatt unterm Dach gehaust. Die Bude war kaum isoliert und zugig und war im Winter gar nicht richtig warm zu bekommen. Irgendwann in der kalten Jahreszeit, hörte ich von meinem Vater, als er vom Dienst kam, dass er nicht ganz, aber doch zu einem nicht geringen Teil erfroren war und irgendwo eingeliefert wurde, wo ihm die Beine abgenommen werden mussten.